Schnell um den Nürburgring
Teil 1
-- "Schnelle Runde im Formelwagen" -- "Der Ring als Rennstrecke" -- "Nur für Sportwagen?" --
"Der Ring hat sich verändert" -- "Die Strecke" -- "Wo überholt man am besten?" --
"So werden und bleiben sie schnell am Ring" -- "Welche Ausbildungsmöglichkeiten bieten sich am Ring?" --
"Worauf es beim Fahren ankommt" -- "Was sind am Ring gute Zeiten?" --
Vorwort
Der Nürburgring ist sicher die schwierigste Rennstrecke der Welt: Das Non-plus-ultra für jeden Autosportler. Kurven jeder Art und beachtliche Höhenunterschiede findet man am Ring, landschaftliche Schönheit und zahlreiche Stellen, wo der Fahrer sein Können beweisen muß.
Es war im Juli 1951, als ich zum ersten Mal die Möglichkeit hatte, am »Ring« zu fahren. Ich fuhr einen 5oo c.t. Kieft. Gerade dieser Wagen setzte den Anfang zu einer langen Verbindung mit dieser großartigen Rennstrecke, zumal der Wagen so leicht und angenehm zu fahren und sehr gutmütig war.
Wenn ich heute in mein Tagebuch schaue, dann finde ich einen Eintrag aus der damaligen Zeit, der mein großes Erstaunen darüber ausdrückte, daß es überhaupt jemanden geben konnte, der in der Lage war, eine so wundervolle Rennstrecke zu entwerfen.
Den Anlaß zu diesen Erinnerungen gibt dieses Buch, das jetzt über diesen großartigen Ring geschrieben wurde. Ich habe nicht die Absicht, ihnen weiter von ihm vorzuschwärmen, denn Hubert Hahne ist sicher einer der besten »Führer«, die man sich hier denken kann. Ich weiß nicht, wie viele Runden er in seinem noch recht kurzen Leben schon auf dem Ring hinter sich gebracht hat, aber sicher sind es genug, um mit einer Geschwindigkeit um den »Ring« zu fahren, die es mit jedem anderen aufnehmen kann. In Anbetracht der technischen Fortschritte ist es sicher müßig, Rundenzeiten zu vergleichen, aber ich halte es für eine große Sache und erwähnenswert, daß er der Erste war, der die mehr als 170 Kurven einer Nürburgring-Runde in weniger als 10 Minuten durchfuhr - und das in einem Tourenwagen! Ich erinnere mich mit Vergnügen an dieses Rennen. Ich war selbst als Zuschauer dabei.
Selbst, wenn Sie vielleicht nicht in die Eifelberge kommen können, um den Nürburgring zu sehen, weiß ich doch, daß Sie dieses Buch, das von einem Fachmann geschrieben wurde, lehrreich und interessant finden werden.
Stirling Moss
Eine schnelle Runde im Formelwagen
Großer Preis von Deutschland im August 1967.
Noch eine Minute bis zum Start! Niemand liest eine Check-Liste vor, aber die Bewegungen erfolgen automatisch: Hauptschalter nach rechts, Benzin-, Saug- und Druckpumpe: ein - Zündschalter: ein. Halbgasstellung und starten. Der Motor tut die ersten Umdrehungen aus eigener Kraft. Nur nicht zu hoch drehen, bevor Öldruck vorhanden ist. Jetzt zittert der Zeiger des Öldruckmanometers in den grünen Bereich: Drehzahl! 5-, 6-, 7000 U/pm. Unter stetem Lastwechsel zwischen 6 und 7000 bleiben. Noch dreißig Sekunden! Brille aufsetzen. Alle Instrumente o.k. Noch zwanzig Sekunden! Ganz vom Gas. Den Motor fast absterben lassen.
Ruckartig den ersten Gang einlegen. Das geht nur bei kleiner Drehzahl, aber nunmehr sofort wieder auf's Gas, die Kerzen dürfen nicht verrußen. Noch zehn Sekunden. Von jetzt an konstante Drehzahl. Bei 7000 packt der Motor am besten an. Noch fünf Sekunden. Die rechte Hand in eine Stellung bringen, die den schnellstmöglichen Wechsel vom ersten zum zweiten Gang ermöglicht.
Jetzt nur noch den Mann mit der Startflagge fixieren. Man versucht die Gedanken des Starters zu lesen: 4 - 3 - 2 - 1 - wie synchronisiert sind die Bewegungen des herunter- gerissenen Armes mit der Startflagge und meines Kupplungsfußes. Die Kupplung nicht zu sehr schleifen lassen. Das würde sie schon beim Start ruinieren. Den Schlupf über die Hinterräder nehmen. Diese wollen unaufhörlich den Vorderwagen überholen. Präzise die Schleuderbewegungen abfangen. Den Wagen schieben 260 Pferde nach vorne. 8500 U/pm!
Der zweite Gang fliegt förmlich hinein. Die Position der rechten Hand war gut »vorge- wählt«. Noch einmal heißt es mit dem Gas vorsichtig dosieren, da auch im zweiten Gang so viel Überschußleistung vorhanden ist, daß die Antriebsräder durchdrehen. Unbedingt aber bei 6000 U/pm bleiben. Darunter fällt die Leistungskurve »in den Keller«. Der Gangwechsel zum dritten und vierten Gang erfolgt routinemäßig schnell.
Vor mir plötzlich eine Staubwolke. Ich reiße meinen Wagen intuitiv nach links. Graham Hill hat sich gedreht. Ich passiere seinen schleudernden Wagen um Haaresbreite, aber schon schießt die erste Kurve auf mich zu. Noch nicht bremsen, noch nicht - neben mir will mich jemand »ausbremsen«. Jetzt voll in die Bremse. Eine winzige Idee zu spät - nun muß ich etwas zaubern. Ich bin in der Linkskurve mit ca. 140 km/h etwas zu schnell. Der Wagen schiebt breitseits auf den rechten Fahrbahnrand zu, ist aber unter Kontrolle zu bringen. In der anschließenden Rechtskurve bin ich nun auf der falschen Linie und auch noch etwas zu schnell. Es läßt sich aber gut »verarbeiten«. Mein rechtes Vorderrad »beißt« sich in den Innenrand.
Das Heck begibt sich auf eigenen links versetzten Kurs. Mit einem Motor, der einen solch flachen Drehmomentenverlauf hat, läßt sich dieser Drift herrlich kontrollieren.
Nun den linken Außenrand anvisieren, keinen Zentimeter verschenken. Der Wagen treibt hinaus bis haargenau an die Grasnarbe. Unmittelbar danach ist der Motor schon auf 8700 Umdrehungen. Eine Idee zuviel, aber damit hat er besseren Anschluß an den dritten Gang. Vierter Gang und kurz in den fünften, um nicht zu überdrehen oder etwas zu früh die Nordkehre anbremsen zu müssen. Das Wechselspiel des rechten Fußes zwischen Bremse und Gas beginnt. Die Fußspitze preßt mit aller Gewalt auf das Bremspedal, während die Ferse richtig dosiertes Zwischengas gibt. Abgesehen davon, daß das Getriebe unsynchronisiert ist und Doppelkuppeln und Zwischengasgeben aus diesem Grunde schon unbedingt erforderlich sind, muß beim Einkuppeln die Drehzahl an den beiden Kupplungs- scheiben übereinstimmen, um ein Schleifen zu vermeiden und einen Lastwechsel an den Hinterrädern auszuschalten. Das könnte leicht zu einem ausbrechenden Heck bereits beim Anbremsen führen. Die Nordkehre läßt ungefähr 140 km/h zu, eine Geschwindigkeit, bei der der zweite Gang genau paßt. Den rechten Rand so weit ausnutzen, daß ich zum Ansteuern der kurzen Geraden einen kleinen Haken schlagen muß.
Da ist aber schon die Hatzenbach-Eingangskurve. Der erste Gang ist rechnerisch richtig. Mit etwas Gefühl, Schlupf an den Hinterrädern und unter Ausnutzung des leichten Gefälles klappt es vielleicht auch im zweiten ohne unter den günstigsten Leistungsbereich zu kommen. Eine kurze Zeit ist der Motor unter 6000 U/pm, zu kurz um einen Zeitverlust hervorzurufen. Der Wagen schiebt bis zur Kurvenmitte über die Vorderräder, dann beißen sich die Hinterräder buchstäblich in die Fahrbahn und der BMW driftet bis zur Böschung. Ich höre förmlich die Grasfetzen fliegen. Aber schon ist wieder das Drehzahl-Limit erreicht und der dritte und vierte Gang erforderlich.
Die erste Rechtskurve verträgt Vollgas. Der Wagen trägt bis zum äußersten linken Rand hinaus. Die nächste Rechtskurve fällt ungünstig nach links ab. Sie verträgt nur den dritten Gang. Mit beiden linken Rädern berühre ich ausgangs den Fahrbahnrand - ein gutes Zeichen dafür, daß ich nichts verschenkt habe. Sofort wieder in den vierten. Auf der Bodenwelle kurz vom Gas und schon bremse ich die Linkskurve der Hatzenbach an. Man könnte sie schneller fahren, wenn nicht die wesentlich engere anschließende Linkskurve »im Wege« wäre. Diese kombiniert man mit der folgenden Rechtskurve. Die Getriebe- abstufung paßt in diesem Abschnitt nicht so recht. Im dritten bin ich häufig unter der Drehzahl für beste Leistung, im zweiten würde der Motor überdrehen. Ich fahre im dritten, aber man kann den driftenden Wagen nicht so gut »an die Leistung hängen«. Das ganze wird ein bißchen eckig, aber das ist nur ein Schönheitsfehler. Das Fahrzeug wedelt durch das anschließende »S« bei ca. 140 km/h. Die letzte Linkskurve ist zu eng um im dritten durchfahren zu werden. Der zweite dreht zwar völlig aus - 8500 U/pm - aber so kann ich den Wagen zentimetergenau bis zur rechten Fahrbahnbegrenzung hinaustreiben lassen. Das rechte Hinterrad berührt leicht die abgeschrägte Fahrbahnbegrenzung. Das war gerade noch zu verantworten, aber schon wechsle ich in den dritten und vierten Gang.
Die Hecke ist nur noch verwischte Begrenzung. An der Brücke rechts bleiben, um der Bodenwelle auszuweichen! Jetzt einen neugierigen Grasbüschel anvisieren. Nun strebt mein Geschoß einer meiner Lieblingsstellen zu. Man sieht nur noch Himmel, da es steil hoch geht, aber im Geist berechne ich schon die Doppel-Rechtskurve, die fast 200 km/h zuläßt. Erst ganz kurz vor dem Sprunghügel bremse ich nur einmal hart und schon hebt der BMW ab. Etwas zu hoch, etwas zu lange. Als er aufsetzt, steht er schon ein wenig quer, aber genau richtig für diese herrlichen Kurven. Ich versuche keine Hundertstel-Sekunde zu verpassen und gehe genau beim Aufsetzen wieder auf's Gas. Zweimal stiebt es am Fahrbahnrand und ich fühle, daß alles gestimmt hat. Schnell in den fünften Gang und Kontrolle aller Instrumente: Öldruck, Öltemperatur, Benzindruck, Wasserdruck, Wasser- temperatur. Alles o.k.!
Auf den kurzen Geraden, manchmal auch während der Kurvenfahrt, schaue ich nur auf den Öldruckmesser. Den Drehzähler hat man sowieso unaufhörlich im Auge. Jetzt sind es 8700 U/pm, 270 km/h. Schon ist das Schwedenkreuz erreicht. Ziemlich spät mit über 200 km/h im fünften hinein in diesen schnellen Links-Knick, möglichst spät hinein, um ein Anbremsen der Arembergkurve von weit links zu ermöglichen. Ein paar Unebenheiten verlangen ganz blitzschnelle Lenkkorrekturen. Ein Hinterrad »überbremst«. Wahrscheinlich deshalb, weil ich angesichts der auf mich zuschießenden engen Arembergkurve etwas zu früh gebremst habe. Die linken Räder sind noch nicht genügend belastet. Das wegschmierende Heck ist aber leicht abzufangen. Allerdings bin ich nun etwas zu schnell. Im zweiten Gang bei ca. 130 km/h lenke ich zu früh in dieses Eck, um Energie durch übertriebenes Driften zu vernichten. Es klappt. Die Poststraßenbrücke zischt vorbei und der dritte fliegt hinein. Der dritte und der fünfte Gang schalten sich am schnellsten, da sie nicht um's Eck zu führen sind.
Aus dem Geschlängel zur Fuchsröhre mache ich eine Gerade. Jedoch muß ich durch- drehende Räder und ein dazugehöriges Tänzeln des Lola-BMW exakt ausgleichen. Bei diesen Geschwindigkeiten muß jede Bewegung genau stimmen. In der Senke der Fuchs- röhre lassen mich unerhörte Kräfte mein Gewicht mehrmals spüren. Der Wagen wird um ein paar Zentimeter kleiner. Linkes Rad nicht zu früh an die Grasnarbe. Kaum habe ich diese berührt, segelt der BMW bereits wieder nach rechts. Unmittelbar nach der letzten Driftphase voll in die Bremse und zurück in den dritten. Mit ca. 180 km/h links bleiben, um aus der nächsten Doppel-Rechts einen einzigen Radius zu machen, aber in diese Berech- nung das »S« des Adenauer Forsts mit einbeziehen. Dort ist der erste Gang bei ca. 80 km/h passend. Eine langsame und darum nicht so interessante Stelle. Das linke Hinterrad streift die Hecke. Die Räder haften wieder voll. Gangwechsel in den zweiten, dritten und vierten. Da ist auch schon die schnelle und schwierige Linkskurve am Metzgesfeld. Dritter Gang, vielleicht 160 km/h. Ich weiß es nicht, es gibt keinen Tachometer. Im zweiten durch die engere Linkskurve und in einem Rechtsschwung zur Kallenhard-Rechts. Das geht ganz knapp im zweiten mit ca. 80 km/h. Ich muß aber die Antriebsräder durchdrehen lassen, um im günstigen Drehzahlbereich zu bleiben. Dabei driftet das Heck stark nach außen. Die Vorderräder zeigen nach links. Im Spiegel sehe ich Reifenqualm. Jetzt folgt die »Spiegel- Kurve«. So genannt, da man häufig mit Tourenwagen den störenden, vorspringenden Außenspiegel in der Hecke, die genau im Scheitelpunkt der schnellen Wehrseifen-Links- kurve steht, abrasiert. Mit dem Formelwagen ist diese »Sondereinlage« nicht möglich. Das Vorderrad touchiert nur leicht diese natürliche Begrenzung.
Nun folgt ein sehr gefährlicher Abschnitt, eine dreifache Rechtskurve, ca. 170 km/h schnell, die man zu einer Kurve macht. Ganz spät erst treffe ich den rechten Innenrand, treffe ihn genau dort, wo schon viele Fahrer vor mir die Straße verbreitern wollten. Die Bremsen eines Formelwagens geben keine Probleme auf. Kein Fading ist vor der folgenden langsamen Linkskurve zu bemerken. Im zweiten Gang und gegengelenkt schiebt der BMW auf den nächsten Rechtsknick zu und ist auch bereits wieder links an der Hecke. Dritter Gang für die schnelle Rechts vor der zweiten Gang-Kurve in Breitscheid am tiefsten Punkt. In der Ex-Mühlen-Rechtskurve bin ich etwas zu schnell. Der Wagen driftet bis in den linken Fahrbahnrand hinein. Steine fliegen. Vollgas und richtige Korrekturen retten mich aus dieser Situation. Eine riesige Staubwolke bleibt zurück. Das war sehr schnell. Beim nächsten Mal fahre ich aber sicherlich eine Nuance langsamer! Ich schalte in den dritten, genau auf einer Bodenwelle, wo sonst die Räder durchdrehen würden. - Vierter und fünfter Gang.
Zeit zum Ablesen aller Instrumente. Linkskurve voll. - Bergwerk-Kurve! Nur ja nicht zaubern, denn hier verliert man bei einem Fahrfehler anschließend viel Schwung. Es klappt gut. Den Innenrand erwische ich genau an der richtigen Stelle. Die Leistung treibt mich hinaus an den linken Rand. Was mit dem Tourenwagen Erholungsstrecke ist, ist mit dem Formel- wagen »harte Arbeit«. Diese schnellen Kurven zum Kesselchen erfordern aufgrund der vielen Bodenwellen kräftige, schnelle Korrekturen. Die Drehzahl ist nicht optimal.
Ich bewege mich zwischen viertem und fünftem Gang. Aber um ideal abgestuft zu sein, braucht man am Nürburgring mindestens sechs Gänge.
Da ist schon das Geschlängel am Kesselchen mit dem berühmten Sprunghügel. Dritter Gang. Ganz links angesetzt springt der BMW bis an den rechten Rang. Im vierten voll durch die nächste Rechts. Die »Hundekurve« an der Steilstrecke bremse ich etwas zu spät an (vielleicht deshalb, weil sich mir der rettende Notauslauf der Steilstrecke anbietet). Im zweiten hat man genügend Kraftreserven, Fehler zu korrigieren. Die anschließenden Schlängel werden zur Geraden. Das Karussell - es macht nicht so großen Spaß - »absol- viere« ich im zweiten Gang. Und es geht steil zur Hohen Acht, der höchsten Stelle am Nürburgring. Mein Wagen wedelt im vierten und anschließend im dritten durch dieses Geschlängel, jagt hinunter zum Wippermann. Der dritte ist etwas zu lang. Dennoch gelingt es mir mit dem notwendigen Schwung auf Drehzahl zu bleiben.
Das ist die letzte Phase eines verrückten Kurven-Labyrinths mit ständigem rechts-Iinks-
Wechsel. Hinein in die Rechts-Bergauf vor dem Eschbach. Blind den jetzt noch unsichtbaren Außenrand in die Berechnung miteinbeziehen. Die Zuschauer hinter dem Maschendraht weichen respektvoll einen Meter zurück. Aber schon verschwinde ich in der Doppel-Links mit Höchstdrehzahlen im zweiten Gang bei ca. 150 km/h. In die Eingangs-Rechts zum Brünnchen ganz früh hinein, anschließend nicht so weit links bleiben.
Unmittelbar nach dieser Kurve macht der BMW einen weiten, hohen Satz. Für diese Bruch- teile von Sekunden gehe ich vom Gas, um nicht zu überdrehen. Genau beim Aufsetzen setze ich die volle Kraft ein. Ich schalte in den dritten und schon wieder zurück in den zweiten. »Lieblos« durchfahre ich das Brünnchen. Fast möchte ich mich bei den Zu- schauern entschuldigen. Mit dem Formelwagen fühle ich mich in dieser Kurve nicht glücklich. Ich verschenke ein paar Zehntelsekunden und mindestens zwanzig Zentimeter am Außenrand. Hoppla, 8800 U/pm. Das gleicht den Zeitverlust nicht aus! Zweiter Gang für die enge Linkskurve. Exakt anschneiden. Gegengelenkt und stark driftend ziele ich schon auf die nächste Kurve zu, während das rechte Hinterrad noch im Dreck wühlt. Diese Vierter-Gang-Kurve fahre ich fast voll - fast! Bodenwelle - Bremsen - Pflanzgarten. Zweimal den Innenrand touchieren.
Gut, daß es immer noch genügend Kurven gibt, wo man mit Zentimetern feilschen kann. Der Wagen hebt leicht ab. Genau dort schalte ich auch in den vierten Gang. Fast voll durchrast der BMW dieses schnelle Geschlängel. Blieb in der letzten Rechtskurve der Öldruck weg? Auf der kurzen Geraden zum Schwalbenschwanz ist die Anzeige wieder normal. Am Belagwechsel der Fahrbahn voll in die Bremse und zurück in den dritten. Mein rechtes Bein schmerzt. Der Zusatztank läßt mir zu wenig Bewegungsfreiheit. Sofort nach der Bodenwelle zurück in den zweiten - 140 km/h. Der Sprung nach rechts um mindestens einen Meter ist eingeplant. Eine Staubwolke zurücklassend wechsle ich hinauf in den dritten und wieder zurück in den zweiten Gang.
Am Schwalbenschwanz lasse ich mich früher hinaustragen als manche Konkurrenten. Schneller? Ich weiß es nicht. Ich fahre so. Im dritten Gang durch die Galgenkopf-Kurven. Der BMW springt und tanzt schwer kontrollierbar. Die Gerade! Unter Ausnutzung des Windschattens ganz links fahren. Das aber erst nach ca. 300 Metern. Dort ist eine häßliche Bodenwelle. Der Streckenwärter steckt seine Nase fast zu weit in die Fahrbahn. Ich muß lächeln, als er erschreckt zurückzuckt. Der Motor kommt auf Höchstdrehzahl, 8500 Um- drehungen, steigt weiter auf 8700, 8800 - 270 km/h. Ich mußte etwas von der Hecke entfernt bleiben. Der Wagen tanzt zu viel. Trotzdem ist das Geradeausfahren eigentlich nicht sehr interessant.
Da ist aber schon wieder willkommene Abwechselung: Die Antoniusbuche. Die Entfernung schrumpft bei dieser Geschwindigkeit wahnsinnig schnell. Die Brückendurchfahrt erscheint viel zu klein - wie ein Nadelöhr. Vor der Bodenwelle ganz kurz und hart auf die Bremse und präzise den linken Rand anpeilen. Bei dieser Geschwindigkeit hätte ein Fehler furchtbare Folgen. Und da ist schon die Schikane. Wie erleichtert strebt der BMW der Ziellinie zu - einer weiteren Runde. An den Boxen erkenne ich »Big Alex« mit der Anzeigetafel. Ich registriere Platz, Abstand und Rundenzeit. 8,32 Minuten, über 160 km/h Schnitt. Weltmeister fahren schneller, sicherlich nicht nur, weil sie 1 Liter Hubraum mehr haben. Für die »Neulinge«, BMW und mich, ist es aber beruhigend, wie gut es schon klappt. Jetzt rast schon wieder die Südkehre auf mich zu. Ein neues Spiel auf altbekannter Strecke beginnt: Fahren - konzentrieren - schalten - driften - reagieren - bremsen - korrigieren - beschleunigen ...
Der Ring als Rennstrecke
Man wird bei schnellen Ringrunden das Gefühl einfach nicht los, daß man in dieser Rennstrecke einen Gegner hat, der unaufhörlich überraschen, überlisten will. Man wähnt sich auf gewissen Abschnitten besonders sicher, glaubt bestimmte Kurven optimal fahren zu können - ist sich der Tücken nicht mehr bewußt -, und sieht sich prompt und urplötzlich mit prekären Situationen konfrontiert.
Es sind derartige Schwierigkeitsgrade - ungünstig überhöhte Kurven, häßliche Boden- wellen, plötzliche Belagunterschiede - zu überwinden, daß ein Fahrer nur selten das Gefühl haben kann, eine Runde absolviert zu haben, die entsprechend seinem fahrerischen Können das Optimum darstellt. Um so schöner ist es natürlich, wenn diese Traumrunde wirklich zustande kommt. Eine entsprechende Rundenzeit liefert den äußerlichen Beweis für ein innerlich befriedigendes Ergebnis.
Als verborgene Genugtuung muß man es bezeichnen, wenn gute Zeiten im Regen zustande kommen. Diese sind nicht so publikumswirksam und werden auch nur selten vermerkt. Es ist jedoch wesentlich schwieriger, sein Auto, den Ring und - sich selbst - auf nasser, schlüpfriger Fahrbahn zu beherrschen. Der Wettergott scheint auch seine sämtlichen Launen am Nürburgring auszuspielen. An einem herrlichen Sommertag kann Sonnenschein mit Platzregen, Hagelschauer, Gewitter und Nebel abwechseln. Es ist vorgekommen, daß Teamchefs zehn Minuten vor dem Start noch nicht sagen konnten, welche Reifenmischung gefahren wird und die Fahrer mehrere Wetterphasen bei einer einzigen Runde durchfahren mußten. Daher heißt es auch: »Die Eifel, die schuf nicht Gott, die schuf der Teifel«.
Zwischen teuflisch und himmlisch, gefährlich und sicher, häßlich und schön, beruhigend und aufregend schwanken auch die Meinungen der Öffentlichkeit über den Nürburgring. Hervorragende englische Piloten haben schon nach einer ersten Ringrunde völlig ratlos am Ziel gestanden und gaben sich keine Chance, dieses Kurven-Labyrinth jemals zu erlernen oder gar zu beherrschen.
Man redet in den verschiedensten Superlativen über diese Rennstrecke. Aber man kann ohne Übertreibung von der Rennstrecke mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad sprechen.
Da sie in ihrer Konzeption im Vergleich zu den meisten anderen Rennstrecken der Welt außergewöhnlich ist, gibt diese Piste den Fahrern ebenso wie den Teamchefs und Konstrukteuren außergewöhnliche Probleme auf.
Moderne Rennwagen sind für die heute üblichen Strecken mit topfebener Straßenober- fläche gebaut. Hier am Nürburgring aber machen Rennwagen atemberaubende Luft- sprünge. Wo ist die Ausfallquote durch Chassis-Schäden ähnlich hoch? Abknickende Rad- aufhängungen, berstende Felgen und brechende Achsen überraschten oftmals Techniker, die glaubten, genügend konstruktive Sicherheitsreserven eingebaut zu haben. Daß bei derartigen Schäden relativ wenig passiert, liegt vielleicht daran, daß ein guter Fahrer mit seinem Wagen gleichsam verwachsen ist und daher derartige Schäden Sekundenbruch- teile vorher erkennen und richtig reagieren kann.
Das klassische Beispiel kaltblütiger Reaktion lieferte wohl Ascari, als er nach einem Radbruch auf der Strecke - es war zwischen Brünnchen und Pflanzgarten - auf drei Rädern zu den Boxen kam.
Erfahrene Teambosse geben ihren Rennwagen für einen Start auf dem Nürburgring verstärkte Fahrwerke, größere Federwege und Bodenfreiheit. Ein überlegenes Fahrwerk ist hier wichtiger als eine überlegene Motorleistung. Und ein Stirling Moss, einer der Besten, die es je gab, benötigte außer dem Fahrenkönnen einen handlichen, gut liegenden Cooper, um die leistungsmäßig überlegenen Ferrari-Werkswagen zu schlagen.
Es gibt keinen Zweifel darüber, daß auch Jacky Ickx traumhaft Auto fährt. Der Grund für seine Zeit von 8.14.0 im Matra F II im Training zum Großen Preis 1967 ist aber ganz sicher auch in der Handlichkeit und hervorragenden Straßenlage des kleinen Matra zu suchen. Als ich ihn nachher fragte, wie er sich nach dieser unglaublichen Zeit fühle, sprudelte es aus ihm heraus (und man merkte, daß es von Herzen kam): »Oh, it was a big fun«.
Jeder Fahrer kann auf Anhieb seine Lieblingskurven nennen und ist vielleicht, wenn auch zögernd bereit, die Stellen zu bezeichnen, in denen er niemals mit sich selbst zufrieden ist. Ich habe lange Zeit benötigt, die Ideallinie für die Hatzenbach zu finden. Jahrelang habe ich mich an dieser Stelle geärgert, bis mir eines Tages - ich weiß noch genau, es war an einem Neujahrstag - die Erleuchtung kam, welche Fahrlinie in dieser Kurvenserie optimal ist. Von diesem Zeitpunkt an hat mir auch die Hatzenbach großen Spaß bereitet.
Rein fahrerisch bevorzugen die meisten großen Fahrer diese Rennstrecke vor allen anderen Pisten. Obschon der Kommentar eines Jim Clark sehr respektvoll klingt. »a terrible circuit«. Er fügt aber hinzu. »but I like terrible things«. Jack Brabham meint schlichtweg, daß der Nürburgring ihn »pausenlos in Atem« hält und auch Jacky Stewart versteht es, seine Probleme am Nürburgring treffend zu formulieren.- »Man zielt mit 250 km/h in die Fuchsröhre hinein und hofft, daß die Sprünge des Fahrzeugs nicht neben der Straße enden«. Alle sind sich aber darin einig, daß die Beherrschung des Rings als hohe Schule des Rennsports anzusehen ist: Ein Weltmeister fühlt sich erst als Weltmeister, wenn er auch den Grand Prix am Ring gewonnen hat.
Bei aller Freude an einer großartigen Renntrecke vergißt man leicht, die Pioniere zu erwähnen, die sich um die Entstehung des Nürburgrings verdient gemacht haben. So sehr es bedauerlich ist, daß unsere heutige Regierung, trotz einer Zeit der Massenmotori- sierung, nur wenig für den Motorsport tut, so dankbar müssen wir den Leuten sein, die - teils als enthusiastische Motorsportler, teils aus dem Gedanken heraus, das Notstandsgebiet Eifel wirtschaftlich zu beleben - seinerzeit die Grundlage für den Bau der Eifel-Rennstrecke schufen.
Kaiser Wilhelm II. akzeptierte nicht nur die motorsportlichen Abstecher von Prinz Heinrich; er war es auch, der erstmalig das Stichwort zum Bau einer Rennstrecke - »vielleicht in der Eifel« - lieferte. Kein Geringerer als Dr. Konrad Adenauer, seinerzeit Oberbürgermeister von Köln, unterstützte den - Anfang der Zwanziger Jahre durch den ADAC Köln wieder aufgegriffenen - Gedanken des Kaisers zum Bau der Eifel-Rennstrecke.
Der motorsportfreundliche Landrat des Kreises Adenau, Dr. Creutz, war es dann, der die Pläne forderte, so daß bereits 1925 mit dem Bau des 6 Millionen Reichsmark Projektes begonnen werden konnte. 2500 Arbeitslose hatten ihren Brötchengeber, und wesentlich mehr Motorsport-Freunde bekamen »ihren« Nürburgring.
1927 war es soweit. Deutschland hatte den bereits bekannten Rennstrecken Indianapolis, Brooklands und Monthlery eine Rennstrecke entgegenzusetzen, die in ihrer Konzeption einmalig war.
Die Eifel war zum Mittelpunkt des deutschen Motorsports geworden und die eigne, eigen- artige Atmosphäre eines Nürburgring-Rennens ist bis heute, nach mehr als 40 Jahren, erhalten geblieben.
Das launische Wetter, Hunderttausende von Zuschauern aller Schichten aus allen Gegenden und Ländern, Fahrer, mit dem Hauch des Internationalen behaftet, nach Rennöl »duftende« Mechaniker, hektische Funktionäre, die urwüchisige Art der Eifelbewohner und einfache Hotels mit gutem Service geben dem Motorsportler das Gefühl, »zu Hause« zu sein. Zu Hause zu sein in einer Umgebung, die schlechtweg Freude am Motorsport bedeutet.
Nur etwas für Sportwagen?
Es muß weder eine Werks-Honda, noch ein Lotus Formel I, Carrera oder Miura sein, um in den Genuß des echten Nürburgring-Erlebnisses zu kommen. Jedem Auto- oder Motorrad- fahrer ist diese Strecke zugänglich. Und jedes benzingetriebene Vehikel vermittelt auf seine Art reizvolle Ringrunden.
Es ist allerdings eine Charaktersache, die ersten Gehversuche schadlos zu überstehen. Ein wenig Selbstbeherrschung, notwendiger Respekt vor den Tücken und Überraschungen der Strecke und ein möglichst langsames Fahrzeug sind gute Voraussetzungen für eine unfall- freie erste Runde.
Wenn man »nur« über einen sehr schnellen Wagen verfügt, sollte das Wort Selbstbe- herrschung in gleichem Maße an Bedeutung gewinnen, wie das Leistungsgewicht des Fahrzeugs abnimmt.
Ein angehender Pianist spielt zunächst Etüden und macht Fingerübungen. Für den an sicherem und schnellem Fahren Interessierten bedeutet ein nicht zu starkes Fahrzeug eine gute Ausgangsbasis.
Mit einem Fiat 500 sind es bei einer Runde nur 15 oder 20 Stellen, die man studieren und trainieren muß, mit einem VW sind es ca. 30 Punkte und als Fahrer eines 275 GTB hat man alle 172 Kurven zu absolvieren. Kurven an der Steigung zum Kesselchen sind im VW bei ca. 80 km/h gar nicht existent. Im Ferrari dagegen erreicht man an derselben Stelle 180 km/h.
Wie gesagt, jedes Auto, jeder fahrbare, motorisierte Untersatz eignet sich für eine Runde um den Ring. Jedes Fahrzeug auf seine Art. Ein 250er Goggomobil bietet in der Fuchsröhre eine völlig andere Form der Fahrfreude als ein GT 40.
Ein versierter Düsenjäger-Pilot erinnert sich genauso gern an den ersten Alleinflug in einer 80 Knoten »schnellen« Piper wie an perfekte, gerissene Rollen im Starfighter bei Mach I. (übertragen Sie das Wort »Rolle« um Himmels willen nicht auf Automobile.)
Auf dieser vor Gegen- und Kreuzverkehr gesicherten Strecke kann man sich ganz auf den eigenen Fahrstil konzentrieren, Kurven schneiden und den Windschatten der linken Fahr- bahnseite auf der langen Gerade ausnutzen. Man muß nur hier und da in den Rückspiegel sehen, um einen schnelleren - vielleicht schon perfekten Sportfahrer - passieren zu lassen.
Am Adenauer Forst und Brünnchen stehen Sonntag für Sonntag sensationshungrige Zu- schauer, die wissen, daß diese Stelle mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit Sensationen ver- spricht. Unter den vielen verhinderten Clarks, die mit verrissenem Gesichtsausdruck und in verkrampfter Sitzposition harmlose mit Indianapolis-Look versehene Limousinen ohne Kenntnis der Ideallinie und des richtigen Fahrstils, oftmals von ganzen Invasionen toleranter Schutzengel beschützt, um den Ring zaubern, fallen die guten Fahrer dadurch auf, daß sie nicht auffallen. Ihnen ist ein richtig abgestimmtes Fahrwerk mehr wert, als ein rennmäßiger Auspuffton. Sie ziehen die Sicherheit des Schalensitzes einer aufreizenden Kriegsbemalung vor. Sie wissen, daß exaktes und richtig berechnetes Absolvieren der Ideallinie die einzig richtige Art des erfolgreichen Trainings darstellt.
Als Fünfzehnjähriger waren meine Ambitionen, den Kampf mit Fliehkräften und Haftwerten aufzunehmen, um nichts geringer als heute und ich ließ mir keine Gelegenheit entgehen, morgens um fünf Uhr bei strömendem Regen oder wann auch immer dieser Leidenschaft zu frönen.
Das bißchen Benzin im Blut, die Nähe des Rings, der gerade erstandene Führerschein und der glücklichmachende Besitz einer 125er Puch ließen mich elterliche Ermahnungen und Schule vergessen und die Entfernung Moers - Adenau schrumpfen.
Ich hatte wenig Respekt vor den Gefahren eines Nürburgrings und es war geradezu auf- regend, wenn in der Fuchsröhre Zentrifugalkräfte meinen Kopf auf den Tank preßten, oder nachlassende, überhitzte Bremsen an der Wehrseifenbrücke meine Maschine förmlich auf diese zukatapultieren und mich nur eine unverantwortliche Schräglage zu retten ver- mochte. Unaufhörlich warteten neue Überraschungen auf mich, ich bekam immerzu weitere Dämpfer versetzt. Dennoch stieg ich erleichtert und zufrieden von meiner Maschine, besessen von der Freude, von dem überlegenen Gegner nicht überlistet worden zu sein. Der Spielgefährte für meine Leidenschaft war gefunden.
Der Ring hat sich verändert
Ein Autofahrer mit sportlichen Ambitionen trachtet stets danach, optimale Rundenzeiten, äußerste Grenzgeschwindigkeiten zu erzielen. Das ist sein Sport. Es existiert irgendwo die Wunschvorstellung nach einer Traumrunde. Er ist erst zufrieden, wenn er seinen 911 S in den Bereich bringt, an welchem unter voller Ausnutzung des größtmöglichen Radius die Haftung abreißt. Eine Kurve, die theoretisch ca. 150 km/h zuläßt, möchte er mit 149 km/h durchfahren. Diese Grenzwerte sind - abgesehen von den unterschiedlichen Fahrwerk- eigenschaften der verschiedenen Fahrzeuge - abhängig vom Straßenbelag, der Kurven- überhöhung und dem Radius. Die Streckenverwaltung hat nun technisch dafür zu sorgen, möglichst viel Sicherheit für Fahrer und Zuschauer zu bieten. Offenbar sind sich Rennfahrer und Straßenbautechniker aber über den Begriff Sicherheit nicht ganz einig. Die verant- wortlichen Bauingenieure versuchen unaufhörlich, Kurvenradien zu vergrößern, den Belag zu verbessern und die Oberfläche zu nivellieren. Der Sportfahrer ist aber keineswegs bereit, den Aremberg mit der »alten« Geschwindigkeit von 120 km/h zu fahren, wenn Straßenverbesserungen nunmehr 130 km/h zulassen. Diese straßenbautechnischen Korrekturen haben den Nürburgring von Jahr zu Jahr schneller gemacht.
Wenn heute Tourenwagen unter 10 Minuten um den Ring fahren und somit dieselben Zeiten erreichen, die vor ein paar Jahren noch von Formelwagen erzielt wurden, hinkt dieser Vergleich allein aus dem einfachen Grunde, weil die vielen Streckenverbesserungen wesentlich dazu beitragen, Traumrunden entstehen zu lassen. Selbstverständlich ist dabei auch noch zu berücksichtigen, daß die technische Entwicklung der Motoren-Fahrgestelle und ebenso das geradezu unerhörte Haftungsvermögen moderner Rennreifen in einen Bereich vorgestoßen sind, der annähernd das Optimum darstellt.
Es waren noch herrliche Zeiten, als man am Wippermann sein Fahrzeug mit den Innen- rädern durch's Gras driften lassen konnte. Heute muß man höllisch aufpassen, die Seiten- begrenzung nicht zu berühren und damit einen Aufhängungs- oder Reifenschaden zu riskieren. Auch in der Hatzenbach sind solche Seitenbegrenzungen entstanden, jedoch in einer Form, die wesentlich harmloser ist. Man kann dort bei sehr scharfer Fahrweise bedenkenlos die abgeschrägten Randstreifen berühren. Allerdings muß man »scharfe Fahr- weise« besonders betonen, da nur bei optimaler Fahrt die kurveninneren Räder sehr stark entlastet sind oder gar abheben. Dadurch sind die Berührungskräfte erheblich reduziert.
Wenn versierte Bauingenieure trotz vieler Verbesserungen an der Strecke auch nicht imstande sein werden, dem Ring die grundsätzlichen durch Lage und Konzeption bestimmten Schwierigkeiten zu nehmen, so werden die Rundenzeiten doch stets besser.
Die Nürburgring GmbH wird ihrerseits die Rennfahrer für Ausbesserungen an ausgefransten und angeknabberten Fahrbahnrändern verantwortlich machen. Dem nach Zehntelsekunden feilschenden Fahrer ist es aber kaum übelzunehmen, wenn er die paar Zentimeter des Seitenrandes in seine Berechnungen einbezieht. Der Zeitgewinn, der aus dieser Ver- größerung des Kurvenradius resultiert, ist zwar gering und in Zehntelsekunden kaum aus- zudrücken. Die große Anzahl der Kurven kann aber summa summarum einige Bruchteile von Sekunden ergeben, und diese Bruchteile von Sekunden wiederum bedeuten in diesem Geschwindigkeitsbereich einige Meter. In der heutigen Zeit der technisch und fahrerisch zugespitzten Situation im Automobilsport sind ein paar Meter Vorsprung oftmals von entscheidender Bedeutung.
Diese zugespitzte Situation ist schon rein äußerlich zu erkennen. Noch vor ein paar Jahren fuhren klotzige, schmalbereifte Ungetüme um den Ring. Heutzutage sind es geradezu grazile Wagenkörper, die äußerlich kaum zu unterscheiden sind. Wie beispielsweise im Flugzeugbau diktiert die Natur nur eine Konzeption, welche optimal ist. Alle Rennsport treibenden Firmen können auf die Möglichkeit der intensiven wissenschaftlichen Forschung zurückgreifen, die zu diesem »Einheitsbild« bei Rennfahrzeugen geführt hat. Selbst die vor ein paar Jahren noch verpönte Richtung zum automatischen Getriebe ist bereits durch den Sieg des Chaparral beim 1000-k-Rennen auf dem Nürburgring 1966 angezeigt.
Die Verwendung des 4-Rad-Antriebs und der Gasturbine kann noch technische Über- raschungen bringen, wobei die Gasturbine insofern wegfällt, als sie für das »Gebrauchs- möbel« Automobil kaum realisierbar ist. Letztlich sollten die Erfahrungen der Rennwagen- techiker den Serienbau befruchten, obschon ein Riesenkonzern technische Verbesserungen für ein Großserienmodell niemals so schnell realisieren kann wie das wesentlich wendigere Rennteam.
Wendig auf seine Art hat auch der Fahrer zu sein, der sich vor die Aufgabe gestellt sieht, mit dem Problem der schnellen, technischen Entwicklung fertig zu werden.
Bessere Reifen und Fahrgestelle lassen Kurvengeschwindigkeiten zu, deren Grenze nur noch sehr schwer zu erfühlen ist. Dieser Bereich zwischen Haften und Gleiten wird immer schmaler. Die Vorankündigung des wegschmierenden Fahrzeugs ist weniger intensiv, der Adhäsions-Abriß setzt abrupt ein.
Das herausragende Fahrertalent hat einen stets kleiner werdenden Grenzbereich zur Ver- fügung. Andererseits ist geringe fahrerische Unterlegenheit aufgrund der hervorragenden Straßenlage heutiger Rennwagen nicht mehr so deutlich sichtbar. Die Rundenzeit-Diffe- renzen werden kleiner und kleiner.
Die zunehmenden Kurvengeschwindigkeiten am Ring bringen es mit sich, daß einige Stellen ganz und gar anders zu fahren sind. Ein typisches Beispiel hierfür ist das Brünnchen. Wo früher infolge der berüchtigten Bodenwelle Formelwagen in der Gerade- ausführung labil wurden, vielleicht minimal abhoben, oder schlimmstenfalls die Boden- wanne aufsetzte, werden heute Sprünge vollführt, die in Höhe und Weite respektabel sind. Der Fahrer hofft stets, daß die Fahrwerkkonstruktion dieser anormalen Belastung ge- wachsen sein möge. Die Vielzahl von Sprungschanzen ist am Nürburgring der haupt- sachliche Ausfallgrund, speziell bei Formelrennen. Der Fahrer eines besonders weit springenden Rennfahrzeugs hat nicht etwa den Ehrgeiz, Rekorde im Weitsprung aufzu- stellen, er weiß vielmehr, daß die Weite des Sprunges aus der Geschwindigkeit resultiert, und die unaufhörliche Steigerung der Geschwindigkeit ist nun mal sein Steckenpferd.
Ein gewisses Verantwortungsgefühl den Zuschauern gegenüber setzt dieser Steigerung gewisse Grenzen. Unverantwortlich hohe Geschwindigkeiten veranlaßten die der Streckenabnahme-Kommission angehörenden Rennfahrer, eine »Bremskurve« vor der schnellen Tiergarten-Passage zu fordern. Schweren Herzens zwar, denn diese sehr schnelle Kurve gab den guten Fahrern eher die Chance, Zeit gutzumachen, als dies in engen Kurven möglich ist. Diese Maßnahme mußte unbedingt durchgeführt werden, da bei einem Material- oder Fahrfehler ein schleudernder Rennwagen in Richtung Tribüne abge- prallt wäre. Die schnellsten Fahrer bewegten ihre Fahrzeuge driftend über die Ziellinie, und ich habe oftmals den Mut eines die Flagge schwenkenden Leo Freiherr von Diergardt bewundert. Zwischenzeitlich hat sich die leichte Mißstimmung über diese Korrektur gelegt.
Es handelt sich um eine Kurvenkombination, die leicht zu erlernen ist. Die zwangsläufig entstandene Verlängerung der Rundenzeiten von 5 bis 7 Sekunden stellt einen Ausgleich für die vielen »Verbesserungen« dar, und letztlich ist der Schwierigkeitsgrad des Nürburgrings um nichts reduziert.
Quelle: Schnell um den Nürburgring, von Hubert Hahne, mvg - moderne verlags gmbh, © 1968