(Teil 1)
Prestigeträchtige Verlustbringer: BMW 507 und 503, nur in geringen Stückzahlen gebaut
BMW sucht ein neues Konzept
BMW war in den fünfziger Jahren also nur in der Klasse der Großwagen mit Sechszyinder- und V8-Motoren vertreten sowie bei den Rollermobilen. »Autos für Tagelöhner und Generaldirektoren«, so ein Spiegel-Zitat. Eine Kategorie dazwischen, eine »Neue Klasse« mußte entstehen, um überleben zu können. Für die Entwicklung eines gänzlich neuen Fahrzeugtyps aber fehlte das Geld.
Schon Autopionier Henry Ford hatte als realistisch denkender Amerikaner erkannt, daß es nicht nur zwei Gruppen von Automobil-Liebhabern gibt, nämlich arme und reiche, sondern daß eine mittlere dazwischen die stärkste Kaufgruppe darstellt. Diese »Erkenntnis zur Mittelklasse« brachte ihm in Form des T-Modells den Welterfolg. Wie der Historiker Horst Mönnich schreibt, hat die Modellpolitik der Bayerischen Motoren Werke das Unternehmen in den fünfziger Jahren stark gefährdet: Aus falschem Prestigedenken auch gegenüber den Stuttgarter Mitbewerbern habe man sich ins finanzielle Abseits manövriert. In der Tat: BMW zahlte bei jeder großen Limousine 4000 bis 5000 Mark drauf; zu hoch waren die Herstellungskosten der klassischen »Barockengel«. Für den amerikanischen Markt hatte man die anspruchsvollen Sportwagen 503 und 507 entwickelt, die im Vergleich zum Ford Thunderbird und zur Corvette von General Motors jedoch zu teuer gerieten und kaum abzusetzen waren.
Prototyp zum E111-600er: Aus dem Isetta-
Vorderteil entstand eine Zwischenlösung,
Ein erster Schritt in Richtung »Neue Klasse« war die Weiterentwicklung der Isetta zum Viersitzer, wie ihn der BMW 600 im Jahre 1957 darstellte. Ein rundherum gut durchdachtes 2,90-Meter-Auto mit Zweizylinder- Boxermotor und relativ viel Platz. Doch obwohl völlig neu entwickelt, wies der BMW 600 den Fronteinstieg der Isetta mit Klapplenkrad auf, was eigentlich nicht mehr marktgerecht war. Der BMW 600 konnte als »große Isetta« nur als Übergangslösung gedacht sein - hatte aber schon richtungsweisend die erste der berühmten BMW-Schräglenkerhinterachsen.
Unabhänging von einer Weiterentwicklung des BMW 600 zum 700 wandte man sich in München dem Konzept eines Mittelklassewagens bis etwa 1600 cm³ Hubraum zu, dessen Bau als beschlossene Sache galt. Um die Herstellungskosten niedrig halten, begann man zunächst mit Versuchen an einem halben V8-Motor, was aber Probleme aufwarf: Waren die Zylinderdimensionen beim V8 in Ordnung, so hatte der Vierzylinder ein zu geringes Drehmoment. Die starke V8-Kurbelwelle und das Kurbelgehäuse waren für das angestrebte Wagengewicht von maximal 1090 kg zu schwer gewesen.
noch ohne Seitentür u. mit Klapp-
sitzen. Es ist der 1. Versuch zu einer Mittelklasse
Schon 1958 veröffentlichte die Zeitschrift Auto, Motor und Sport Bilder von Prototypen, die - als Alfa Romeo getarnt - auf der Straße gesehen worden waren. Doch angesichts der wirtschaftlich angespannten Lage gab es für BMW keine Möglichkeit, dieses Projekt zu realisieren.
Erneut mußte man den Weg der ganz kleinen Schritte gehen, um zur »Neuen Klasse« zu gelangen.
So konzentrierte man sich auf den vom österreichischen BMW-Importeur Wolfgang Denzel ausgearbeiteten Plan, aus dem 600 ein »richtiges« Auto entstehen zu lassen.
Gemeinsam mit dem italienischen Designer Giovanni Michelotti hatte er ein Coupé entworfen, das ebenfalls einen Heckmotor, aber die konventionellen Linien eines Autos aufwies und zudem hohe sportliche Qualitäten hatte. BMW baute dieses kleine, flotte Auto, dem bald eine Limousine folgte.
Hier ein Zwischenschritt: Der E111-600er bot zu wenig
Frontsicherheit, hatte aber bereits seitliche Türen
Große Hoffnungen setzte man in diese neue Modellreihe mit der Typenbezeichnung 700, die auch eine breite Käuferschicht ansprach.
Bevor der BMW 700 vom Band laufen konnte, galt es zahlreiche Probleme zu bewältigen. Um sie zu lösen, sprang der Bremer Holzkaufmann und BMW-Aktionär Krages mit 15 Millionen Mark ein - die Anlaufkosten für den neuen Wagen schienen gesichert. Doch Krages beendete schon bald wieder sein Engagement; die Aussicht auf Rendite schien ihm zu gering.
Auch ein Zwischenschritt: Der Sportsmann,
ein richtiges kl. Auto, aus dem 600er entstanden
Hans Glas, Autohersteller im niederbayerischen Dingolfing und damals - vor allem mit seinem Goggomobil - erfolgreicher als BMW, wurde daraufhin von der Bayerischen Landesregierung gedrängt, BMW zu übernehmen und mit der ebenfalls notleidenden Auto Union in Ingolstadt die Bayerischen Autowerke zu gründen. Für die Etablierung einer solchen Gruppe versprach man ihm hohe finanzielle Unterstützung. Doch Glas lehnte ab - der Brocken war ihm zu groß.
Nur wenige Jahre später sollte sich das Blatt wenden:
Glas wurde von BMW geschluckt. Das Magazin »Der Spiegel« berichtete im Mai 1959, BMW-Chef Dr. Heinrich Richter-Brohm habe den im Hause der Industrie- und Handelskammer München versammelten Aktionären nicht nur einen Jahresverlust von 6,5 Millionen Mark bekanntgegeben, sondern ihnen zugleich neuen Mut gemacht. Ein Modell mit 700-cm³-Zweizylinder-Viertaktmotor zu einem Preis zwischen 5000 und 5500 Mark sollte die Finanzen der mit anhaltenden Schwierigkeiten kämpfenden Firma gründlich aufbessern.
Prototyp E107: Hier schon nahe der späteren
Serie, doch noch mit aufgesetzten Blinkern
Wenige Tage nach dem Aktionärstreffen wurden diese Hoffnungen auf einen neuen Verkaufsschlager erheblich gedämpft. Die Bayerische Staatszeitung, das amtliche Mitteilungsblatt der Landesregierung, ließ die Aktionäre nämlich wissen, daß Richter-Brohms neues Kleinfahrzeug »ebensowenig produktionsreif wie das vorher entwickelte 1,6 Liter BMW-Modell« sei, auf das die Geschäftsleitung die gleichen Hoffnungen gesetzt hatte. In dem Artikel war mit einem Hinweis auf eine BMW-Tochtergesellschaft sogar von einem »immerhin möglichen Konkurs der BMW AG« die Rede.
Prototyp 700: Ein Entwurf mit eleganten
Weißwandringen u. Zweifarblackierung
Solchen pessimistischen Ausführungen kam nicht zuletzt deshalb Bedeutung zu, weil die Regierung Bayerns durch ihre Bürgschaftsleistungen den Gang der Geschäfte bestens zu beurteilen vermochte. Fachleute schlossen sogar die Möglichkeit nicht aus, daß in München-Milbertshofen anstelle des BMW Coupés eines Tages der DKW 600 auf Band gelegt würde, für dessen Großserienfertigung Daimler-Benz-Großaktionär Friedrich Flick bei der Auto Union in Ingolstadt zu jener Zeit Maschinen und Anlagen errichten ließ.
Für eine Vermutung, daß Daimler-Benz neben Ingolstadt den erstklassigen Facharbeiterstamm und die Fließbänder von BMW übernehmen wollte, sprach die Tatsache, daß der BMW-Aktienkurs trotz aller beunruhigenden Meldungen in letzter Zeit unverändert fest geblieben war.
Soweit »Der Spiegel«. Nach seinen Informationen sah es um die BMW AG düster aus. Alle Hoffnungen der Aktionäre galten nun dem neuen BMW 700, der eine Übernahme durch Daimler-Benz verhindern sollte.
Dort hatte man im Gegensatz zu BMW-Lieferfristen bis zu einem Jahr. Die Stuttgarter hatten bewiesen, daß ihre Politik in Form eines konsequenten Bekenntnisses zum Vierzylinder richtig war, und auch BMW mußte in dieser Richtung aktiv werden.
Prototyp BMW 707: Ein Zwischenschritt
vom 700 zur Neuen Klasse
Dr. Friedrich Mathern, Anwalt der Händlerschaft, setzte auf der alles entscheidenden Hauptversammlung des 9. Dezember 1959 geschickt eine Vertagung durch. Noch nie war so ein tumultartiges Engagement von Aktionären eines Autokonzerns registriert worden: Sie kämpften für das Überleben der weiß-blauen Marke. Und sie gewannen ihren Kampf. Denn im letzten Augenblick schaltete sich die Industriellenfamilie Quandt (Varta, Draeger) aus Bad Homburg ein, die schon seit Mitte der fünfziger Jahre BMW-Aktien gekauft hatte. Zurückblickend darf man sagen:
Die Brüder Herbert und Harald Quandt bewahrten die Bayerischen Motoren Werke vor einer allseits erwarteten Übernahme durch Daimler-Benz.
In dieser wirtschaftlich hektischen Zeit, die durch Vollbeschäftigung, durch den Zustrom von Gastarbeitern, aber auch durch stetig steigende Preise gekennzeichnet war, arbeiteten die Ingenieure bei BMW fieberhaft an einem neuen Mittelklassemodell. Ihr Projekt hatte nun wieder eine Chance.
Das Entwicklungsteam um Fritz Fiedler und Helmut Werner Bönsch setzte beim 700er an.
Prototyp BMW 707 in der Seitenansicht. Hatte
er schon einen Frontmotor?
Er sollte bei gleicher Linienführung länger werden und vier Türen erhalten. Der Motor sollte noch vorn verlegt und auf 1,2 bis 2 Liter erweitert werden. Doch man erkannte bald, daß dies nur eine halbe Sache geworden wäre. Eine solche aus der Not geborene Lösung hätte dem guten Ruf der Marke BMW nur geschadet. Meinungsforscher hatten nämlich ermittelt, daß selbst in der Isetta das sportliche BMW-Image lebte.
BMW-Designfindung: Besonders an der typischen
Front sollte ein neuer BMW zu erkennen sein
Herbert Quant bestand darauf, daß an der Wagenfront der Prototypen die markante »Niere« zu sehen war, die schon in den dreißiger Jahren und auch beim 501/502 für Signifikanz gesorgt hatte. Erneut wurde der Künstler Michelotti mit dem Styling der Wagenfront beauftragt.
Der Italiener integrierte nicht nur die Niere, sondern auch die Scheinwerfer in den Grill und schuf so einen typischen, markanten Fahrzeugbug. Noch heute bekennt sich BMW zu diesem Basisdesign - in einer Zeit, in der die meisten Hersteller mit sehr wenigen Ausnahmen keine markentypischen Fronten mehr präsentieren.
Pläne, die den Bau eines 1600 cm³-Motors und einen Wagen mit hinterer Starrachse zum Inhalt hatten, wurden bald verworfen. Motorenchef Alex von Falkenhausen bekam einen deutlichen Hubraum-Abstand zu Mercedes verordnet. Auch gab es Diskussionen, ob ein Leichtmetall- oder ein Graugußmotor zu bevorzugen sei. Falkenhausen setzte Grauguß durch.
Schon 1958 hatte er für den BMW 700 einen Einlitermotor mit obenliegender Nockenwelle konstruiert, auf dem er nun aufbauen konnte. Dieser neue Vierzylinder war noch in kein Auto eingebaut worden und sollte eine große Karriere vor sich haben. Allerdings dann doch in hubraumstärkerer Ausführung.
Es handelte sich um einen Motor mit V-förmig hängenden, gegeneinander versetzt angeordneten Ventilen und einem thermodynamisch günstigen Wirbelwannen-Brennraum. Durch einen helmartigen Aufsatz, der Kolben ergab sich im Brennraum eine Quetschfalte, die für gute Gemischverwirbelung sorgte. Der steife Ventiltrieb über eine obenliegende Nockenwelle und kurze Kipphebel garantierte hohe Drehzahlfestigkeit, was damals durchaus nicht als selbstverständlich galt.
Kenner identifizierten die Prototypen unter einer Ford-»Badewannen«-Karosserie.
Fast schon Serienform: Das Heck des E113-Prototyps
als Holzmodell mit seitlicher Typenbezeichnung
BMW hatte als Vorstandsmitglied Robert Pertuss gewonnen, unter dessen Regie der Karmann-Ghia entstanden war. Als Cheftechniker sollte er sich um die »Neue Klasse« kümmern. Pertuss ständen nur geringe Etats zur Verfügung, doch er glaubte fest daran, seine Aufgabe auch mit beschränkten Mitteln erfüllen zu können.
Der Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Johannes Semler sprach auf der Hauptversammlung der BMW- Aktionäre 1960 von »einem zarten Pflänzchen, klein aber gesund«.
BMW-Designstudie: Vorn noch 700er,
hinten schon fast E115
Schon jubelte der Industrie-Kurier: »700er brachte BMW über den Berg!« Der kleine Wagen, zu unrecht mit der Vokabel »Behelfauto« belegt, stellte in der Tat das Fundament für die heutige BMW AG dar. Mit seinem vom Motorrad abgeleiteten Boxermotor verdiente er das Geld für die »Neue Klasse«, die ihm folgen sollte.
Quelle: Autos die Geschichte machten - BMW 02 - Die Neue Klasse, v. Thomas G. Müller, Motorbuch Verlag, © 1996